Mittelbayerische

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Gestorben wird im Verborgenen (11.08.21)

Viele ertragen es nicht, auf den Tod zu schauen. Der Regensburger Seelsorger Klaus Schäfer kämpft um eine neue Trauerkultur.

Von Isolde Stöcker-Gietl

Regensburg.Wie möchte ein Mensch die letzten Stunden seines Lebens verbringen? Pallottiner-Pater Klaus Schäfer hat eine sehr genaue Vorstellung davon. Er möchte auf seinem Sterbebett Anekdoten aus seinem Leben erzählen. Und zwar so, dass diejenigen, die ihn begleiten, herzlich schmunzeln und lachen können. Schäfer ist seit November 2017 Seelsorger am Universitätsklinikum Regensburg und dort täglich mit Krankheit und Tod befasst. Und er stellt fest: Die Trauerkultur ist uns abhanden gekommen.

„Wir sind die Spaßgesellschaft, die den Tod massenhaft in Filmen anschaut, ihn als Totenkopf tätowiert oder auf der Kleidung trägt. Aber wenn es uns selbst betrifft, dann sind wir hilflos.“

Von der Bundeswehr zur Seelsorge

Montagmorgen. Hochbetrieb am Universitätsklinikum. Rettungswagen reihen sich an der Notaufnahme aneinander, der Hubschrauber Christoph Regensburg hebt ab. Patienten, Besucher, Ärzte und Pflegepersonal hasten durch die Gänge. Pater Schäfer wird aus einem Patientengespräch in der Notaufnahme in diesen Trubel gerufen. Schwarzes Kurzarm-Hemd, schwarzer Gürtel, schwarze Hose, schwarze Sportschuhe und schwarze Umhängetasche: Die Farbe der Trauer und des Todes trägt er von Kopf bis Fuß. 1988 trat der heute 63-Jährige bei der Ordensgemeinschaft der Pallottiner ein und wurde zehn Jahre später zum Priester geweiht. Zuvor war seine Arbeitskleidung der Tarnfleck. Er diente bei der Bundeswehr – zwölf Jahre. Nun dient er den Menschen. Zunächst an der Vincentius-Klinik in Karlsruhe, jetzt in Regensburg. Wenn Schäfer vom Pflegepersonal benachrichtigt wird, dann ändert sich das Tempo. Dann steht nicht mehr die Hochleistungsmedizin, sondern der Patient und dessen Angehörige im Vordergrund.

Für das Gespräch hat Schäfer das offen angelegte Personal-Casino gewählt, das direkt am Zugang zu den Ambulanzen liegt. Der Klinikalltag zieht fortwährend an dem runden Holztisch vorbei, während der Seelsorger über den Tod spricht. Hier sind diejenigen unterwegs, denen die Medizin helfen kann. Hier ist die Hoffnung. Dort, wo Schäfer gerufen wird, hat sie sich vielleicht nicht erfüllt. Er ist da, wenn es um die letzte Wegstrecke geht – nach langem Leiden, aber manchmal auch vollkommen unerwartet. Der durchtrainierte Tennisspieler, der an einem Aneurysma im Kopf stirbt. Der 18-jährige Motorradfahrer, der bei einem Unfall so schwer verletzt wird, dass alle ärztliche Kunst nicht mehr helfen kann. Der Großvater, der um jeden Tag Leben kämpft, damit er noch die Goldene Hochzeit mit seiner Frau feiern kann und dann Stunden später verstirbt.

Gerade beschäftigt Schäfer ein Patient, der einen Wunsch geäußert hat. Der Mann, erst in den Fünfzigern, will bei dem Klinik-Seelsorger beichten, doch noch bevor dies möglich war, musste er intubiert werden. Jetzt ist er wegen der sedierenden Medikamente nicht mehr ansprechbar. Schäfer sagt, er werde dennoch versuchen, dem Anliegen des Patienten nachzukommen. So, wie er stets versucht, in seiner Begleitung die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Das muss keine christliche Ausrichtung sein. Schäfer begleitete schon Moslems, Hindus und Atheisten. Auch ein Paar, dem sein Kind in der späten Schwangerschaft gestorben ist, und das ihn bat, in der Beerdigung kein Wort über Gott zu verlieren. Er war mit Patchworkfamilien konfrontiert, wo den geschiedenen Ehefrauen der Abschied verweigert wurde und mit Müttern, die ihren erwachsenen Töchtern den Anblick des toten Vaters ersparen wollten.

Fragebogen zur Trauer

Umfrage:

Aktuell führt Pater Schäfer eine wissenschaftliche Analyse durch, die sich mit Fragen der Trauerbewältigung bei Kindern beschäftigt. Hierfür werden Erwachsene gesucht, die berichten, wie sie als Kind oder Jugendlicher den Tod einer nahestehenden Menschen erlebt haben. Es geht um die Frage, inwieweit ein fehlendes Abschiedsritual mit Sterbenden zu späteren Beeinträchtigungen im Leben führen kann. Die Umfrage ist abrufbar unter https://1trost.de

Gottesdienste:

Der Seelsorger hat auch spezielle Gottesdienste ins Leben, etwa für Eltern, deren Kinder während der Schwangerschaft gestorben sind oder Trost-Gottesdienste, die mit Aktiv-Stationen die Trauerarbeit unterstützen.

Klaus Schäfer hat aus diesen Begegnungen viel gelernt und bereits mehrere Bücher über den Umgang mit dem Tod geschrieben. Derzeit treibt ihn das Thema Bestattungsrecht um. Weil er selbst mehrfach miterlebt hat, wie der Tod eines Menschen dazu missbraucht wurde, anderen Hinterbliebenen zusätzliches Leid zuzufügen. Dann erzählt er von drei Männern, die ihren guten Freund beerdigen wollten, was aber rechtlich so nicht möglich war, weil der Tote Geschwister hatte. Der Bruder ließ den Verstorbenen daraufhin in einem anonymen Grabfeld beisetzen und setzte die Freunde nicht in Kenntnis. Schäfer holte die Trauerfeier nach und stellte wieder einmal fest: „Trauernde, das sind nicht nur Verwandte und Familie, das sind auch Freunde und Kollegen. Auch sie haben ein Recht auf einen Abschied!“ Er plädiert deshalb dafür, diesen Menschen auch im Bestattungsgesetz Rechte einzuräumen. „Den Tod sehen und begreifen!“

Auch Kinder sollten nicht von Sterbenden und Toten ferngehalten werden, sagt der Seelsorger. „Sie sollen selbst entscheiden, was sie möchten.“ Schäfer hat für die Fünf- bis Zwölfjährige ein Buch geschrieben, in dem er kindgerecht erklärt. was auf dem Weg des Sterbens passiert. Und er forscht derzeit auf dem Gebiet, etwa zu den Folgen mit denen Menschen zu kämpfen haben, denen ein Abschied von geliebten Menschen in der Kindheit verwehrt wurde. „Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht mehr nachholen.“ Falsche Rücksichtnahme sei deshalb fehl am Platz, mahnt der Seelsorger. „Den Tod sehen und begreifen“, sei für die Trauerarbeit immens wichtig.

Schäfers Telefon klingelt. Er wird auf einer seiner Stationen gebraucht. Ein Patient wünscht ein Gespräch. Seine Arbeit richtet er am Kranken und später an den Angehörigen aus, die er betont Hinterbliebene nennt, sobald der Tod eingetreten ist. Sprache sei etwas sehr Wichtiges, auch im Umgang mit dem Tod, sagt Schäfer. Und wenn Trauernde nichts von Gott hören wollen, dann respektiere er das. Wichtig sei vielmehr ein passendes Ritual zu finden, um das, was geschehen ist, zu verarbeiten. Denn dass Menschen ohne Begleitung ihrer Angehörigen sterben, dass man sich immer seltener von den Toten persönlich verabschiedet, das beschäftigt Schäfer sehr. „Wir begrüßen uns, wir sagen auf Wiedersehen – jeden Tag. Und dann, in diesem entscheidenden Moment am Ende eines gemeinsamen Weges, fehlt uns der richtige Umgang miteinander.“

Aber wie verabschiedet sich der Seelsorger von den Menschen, die er in ihren letzten Stunden begleitet hat? Schäfer denkt einen langen Moment nach, fährt sich dabei immer wieder mit der Hand über seinen ergrauten Kinnbart. Dann sagt er: „Ich sage auf Wiedersehen. Weil ich der Überzeugung bin, dass wir uns eines Tages alle wieder sehen!“