Kinder

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Kinder bei Sterben und Tod

Sollen Kinder den Verstorbenen sehen?

Erwachsene sagen häufig, dass Kinder den Verstorbenen nicht sehen sollen. "Sie sollen ihn so in Erinnerung behalten, wie er war", ist eine häufige Haltung. Dem gegenüber sagen:

  1. Anna Giordano: "In Deutschland gibt es viele Menschen, die Kinder vom Thema Tod oder von den Toten fernhalten wollen. Da gibt es die Mär vom Leichengift, die häufig noch im Unterbewusstsein schlummert. Aber der Tote ist nicht giftig. Kinder sind allerdings unterschiedlich. Manche sind sehr neugierig und möchten den Toten sehen, dann sollte man das zulassen. Wichtig ist es, in jedem Fall mit den Kindern darüber zu sprechen. Und wenn Kinder den Toten nicht sehen möchten, sollte man nachfragen, warum. Ihnen vielleicht noch einmal genau erklären, was da los ist und über die Ängste sprechen."[1]
Nicht der Anblick des Toten schmerzt, sondern die Tatsache des Todes,
und diese Tatsache ist auch ohne Anblick des Toten gegeben.

Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken

Die Österreichische Krebshilfe veröffentlichte mit ihrer Broschüre "Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken"[2] eine wichtige und wertvolle Hilfestellung für den Umgang mit Kindern, wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt und daran stirbt.

Wenn Kinder ihre Trauer nicht zeigen oder ausreichend leben können oder dürfen, kann es zur krankhaften Verarbeitung kommen.
Daher ist es so wichtig, dass Kinder vom Prozess von Sterben, Tod und Trauer nicht ausgeschlossen werden. Sie haben ein Recht, diesen Prozess auf ihre je eigene Art und Weise zu erleben und zu durchleben.

10 Wünsche von Kindern

Die Österreichische Krebshilfe veröffentlichte in ihrer Broschüre "Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken" die "10 Wünsche für mich".[3] Diese 10 Wünsche wurde für diese Seite auf Sterben und Tod umgeschrieben.

  1. Sprich mit mir - ich gehöre auch dazu.
  2. Sag mir die Wahrheit. Das ist schwer für mich, aber leichter, als mit meiner großen Angst alleine zu sein.
  3. Erkläre mir die Sachen so, dass ich sie verstehen kann. Bitte setze dich mit mir hin und verwende einfache Worte, die ich gut verstehe.
  4. Komm zu mir und schau mit mir gemeinsam nach, ob ich von dir etwas wissen will. Von alleine traue ich mich nicht, zu dir zu kommen, weil ich dich ja nicht so gut kenne, weil du wenig Zeit hast und ich mich manchmal auch davor fürchte.
  5. Mitunter will ich etwas nicht wissen - dann lass das bitte zu.
  6. Sag mir, dass ich unschuldig bin am Tod meiner Mutter / meines Vaters / ...
  7. Erkläre mir, was ich für meine Mutter / meinen Vater / ... tun kann - ich will auch helfen.
  8. Manchmal will ich auch mit meinen Freunden spielen, wegfahren und Spaß haben. Bitte erkläre meinen Eltern, dass das normal ist und dass ich den/die Verstorbene(n) trotzdem lieb habe.
  9. Ich muss wissen, wer auf mich aufpasst, mir etwas kocht, mich in den Kindergarten oder in die Schule bringt und bei mir ist, wenn ich krank bin. Bitte sag meinen Eltern, wie wichtig das für mich ist.
  10. Interessiere dich für mich, auch wenn du als Arzt/Ärztin meine Mutter / meinen Vater / ... nicht vor dem Tod bewahren konntest.

Empfehlungen

Diese Empfehlungen sind aus der Broschüre "Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken".[4] Die Zahl in der Klammer gibt die Seitenzahl dieses Zitats an:

  • Wenn es gelingt, sich den Gefühlen gemeinsam mit dem Kind zu stellen, die Gefühle Ihres Kindes ernstzunehmen und nicht abzuwiegeln, dann tun Sie etwas sehr Schweres, aber auch Wichtiges. (28)
  • Seien Sie ehrlich und offen zu Ihrem Kind, stellen Sie sich den Fragen - auch wenn Sie selbst auf Vieles keine Antwort wissen. (29)
  • Die Klarheit zu erreichen, dass wir den Tod weder aufheben noch verhindern können, ist ein enorm schwieriger, aber wichtiger Prozess. (29)
  • Das Gespräch über Sterben und Tod darf nicht hinausgezögert werden. (30)
  • Reden Sie mit Ihrem Kind, auch wenn es Ihnen sehr schwer fällt. (30)
  • Hilfreich ist auf alle Fälle, das Gespräch nicht abzuwehren, sondern das Kind mitfühlend mit dem, was der Arzt sagt, bekannt zu machen. (30)
  • Tröstlich ist es, wenn man dem Kind erklärt, dass es kein Mittel mehr gibt, um die Krankheit zu heilen, dass der Arzt aber dafür sorgen wird, dass Mama oder Papa keine Schmerzen leiden muss, keinen Hunger oder Durst hat und gut schlafen kann. (31)
  • Es sollte möglich sein, dass das Kind neben dem sterbenden Elternteil spielt, Hausaufgaben macht, mit ihm sprechen und sich der gegenseitigen Zuneigung vergewissern kann. (31)
  • Auch der Besuch in der Intensivstation ist anzuraten.[Anm. 1]
  • Kinder geben sehr genau Zeichen, wann sie gehen möchten. (31)
  • Das Kind muss trotz der schweren Situation auch lachen und Freude haben können. (32)
  • Kinder neigen einerseits zum Klammern, andererseits zur Ablehnung des sterbenden Elternteils (32)
  • Vor allem Jugendliche neigen oft dazu, ihren Spannungen in Aggressionen Ausdruck zu verleihen. (33)
  • Es ist ganz wichtig, dass klare Worte gefunden werden. Schonende Formulierungen wie "Die Mama/der Papa ist eingeschlafen" verunsichern Kinder sehr. (36)
  • Auch Formulierungen, der oder die Tote seien weggegangen, führen das Kind dazu, zu warten, bis er/sie wiederkommt.
  • Wichtig ist, dass wir dem Kind mitteilen, dass niemand genau weiß, wo Tote sind, aber dass wir das oder jenes glauben. (36)
  • Entscheidend ist das Bestehen von Liebe und Verbundenheit, auch über den Tod hinaus, und nicht das 'wie' des Ortes. (36)
  • Wenn der Himmel zu schön ausgemalt wird, können Kinder die Sehnsucht entwickeln, unbedingt schnell hinzumüssen, besonders dann, wenn es ihnen auf der Erde gerade nicht gut geht. (37)
  • Es ist anzuraten, Kinder jeder Altersstufe zum Begräbnis mitzunehmen. (37)[Anm. 2]
  • Sprechen Sie mit den Kindern vor dem Begräbnis darüber, wie es ablaufen wird. (37f)
  • Kleinere Kinder möchten oft gerne Zeichnungen mit ins Grab geben. (38)

Todesverständnis

Kinder verstehen den Tod sehr unterschiedlich:[5]

  • Kinder unter 3 Jahren sprechen über Tote, als wären diese noch am Leben. Tod bedeutet für sie Abwesenheit für eine kurze Zeit.
  • Kinder zwischen 3 und 5 Jahren beginnen langsam, Äußerungen über den Tod zu machen. Sie wollen den Tod erforschen und stellen viele Fragen. Tod ist aber etwas, was anderen zustößt und noch als ein vorübergehender Zustand verstanden.
  • Kinder zwischen 5 und 9 Jahren sehen den Tod realistischer. Der Tod ist für diese Kinder mit dem Gefühl der Trennung auf immer und des Schmerzes verbunden. Häufig wird der Tod personalisiert.
  • Kinder ab 9 Jahren sehen den Tod als einen Vorgang, der in uns stattfindet und dessen wahrnehmbares Resultat die Zersetzung des menschlichen Körpers ist. Nun wissen die Kinder, dass der Tod unvermeidbar ist. Tod bedeutet für sie jetzt definitiv Trennung, Liebesverlust und Endgültigkeit.

Die Entwicklung des Todesverständnisses wird durch die elterliche Einstellung, durch Kultur und Religion sowie durch konkrete Todeserfahrung beeinflusst.

Trauerreaktionen von Kindern

Kinder und Jugendliche trauern anders als Erwachsene. Dabei spielen Alter und Entwicklungsstufe, aber auch die Persönlichkeit des Kindes eine große Rolle:[6]

  • Sprunghaftes Trauern
  • Verdrängen
  • Aggression
  • Angst
  • Schuldgefühle
  • Alltag bewältigen
  • Idealisierungen
  • Verleugnen
  • Ablenkungen suchen
  • Auslöser für Sinnkrisen
  • Psychosomatische Beschwerden
  • verspätete Reaktionen

Hilfestellungen für Kinder

Kindern kann in Trauer auf unterschiedliche Art und Weise geholfen werden.[7]

Rituale finden

aktiv werden
Mitsprache ermöglichen
Erinnerungen wecken
kreativ sein
Märchen und Geschichten
spielen

kreativ aufarbeiten

Hilfe aus dem Freundeskreis
Gespräche anbieten
Zeit für Trauer nehmen
Platz für Erinnerungen
Trost spenden

Aus Studien

Das Aufklärungsgespräch mit dem Kind

86% der Eltern geben an, dass ihr Kind geahnt/gewusst hat, dass es bald sterben wird. - 41% der Eltern geben an, mit ihrem Kind über den bevorstehenden Tod gesprochen zu haben. Als häufigste Gründe für diese Entscheidung werden genannt:

  • Das Kind spürte/ahnte/wusste, dass etwas mit ihm geschah (35%)
  • Wir waren immer ehrlich zueinander (26%)
  • Unser Kind hat gefragt (26%)
  • Ein bewusstes Abschiednehmen sollte ermöglicht werden (19%)
  • Es war das Bedürfnis der Mutter bzw. des Vaters (19%)

Die Auswertung der Gesprächsinhalte ergibt, dass mit 44% am häufigsten religiöse Inhalte besprochen wurden.

Meistgenannte Gründe, nicht mit dem Kind über den unabwendbaren Tod zu sprechen, sind:

  • Die Eltern haben sich nicht getraut, mit dem Kind zu sprechen (33%)
  • Das Kind und/oder die Eltern glaubten an die Gesundung (31%)
  • Der Tod des Kindes war nicht (so schnell) vorhersehbar (21%)
  • Das Kind hat nichts gesagt/gefragt (21%)
  • Das Kind wollte nicht sprechen (15%)

74% der Eltern, die mit ihren Kindern über deren Tod gesprochen haben, würden in der Situation wieder genauso handeln. Von den Eltern, die nicht mit ihren Kindern über den bevorstehenden Tod gesprochen haben, äußern sich aus heutiger Perspektive 38% positiv und 33% negativ über ihre damalige Entscheidung.

Die Reaktionen der Kinder auf die Mitteilung, dass sie bald sterben werden, sind sehr individuell und reichen von Verzweiflung und Gesprächsverweigerung bis hin zu Gelassenheit und Tröstungsbemühungen den Eltern gegenüber.

Ein bedeutendes Ergebnis aus den Erfahrungen: Die Entscheidung, ob und wie das Kind über den bevorstehenden Tod informiert wird, sollte in jedem Einzelfall individuell getroffen werden. [8]

Zitate

† Jahr Autor Zitat
1960 Albert Camus Das Erschütternde ist nicht das Leiden der Kinder an sich, sondern der Umstand, sie sie unverdient leiden. ... Wenn wir nicht eine Welt aufbauen können, in der Kinder nicht mehr leiden, können wir wenigstens versuchen, das Maß der Leiden der Kinder zu verringern.
Brigitte Lob Das Thema Tod sollte von der ersten Klasse an auf dem Lehrplan stehen.[9]
Brigitte Lob Je ehrlicher ich anspreche, was passiert ist, desto eher gebe ich dem Kind die Chance, das Ereignis als Realität zu akzeptieren und zu verarbeiten.
Brigitte Lob Unabhängig vom Alter sollte man grundsätzlich offen über den Tod und seine Umstände sprechen.
Brigitte Lob Ich rate dazu, nichts zu vertuschen. Auch wenn es um Suizid geht. Je ehrlicher ich anspreche, was passiert ist, desto eher gebe ich dem Kind die Chance, das Ereignis als Realität zu akzeptieren und zu verarbeiten.
Brigitte Lob Abhängig vom Alter ist aber natürlich, zu welchen Reaktionen ich das Kind motiviere. Jüngeren Kinder erleichtert es, die Situation im Spiel zu verarbeiten oder ihre Gefühle in einem Bild auszudrücken. Älteren Kindern tut es oft gut, einen Brief zu schreiben.
Brigitte Lob Gut ist auch, altersgemäß Rituale, zum Beispiel im Trauerraum, anzubieten.
Brigitte Lob Ich denke, das Thema Tod und Trauer sollte von der ersten Klasse an auf dem Lehrplan stehen. Im Fach Religion gehört es zwar dazu, aber die Auseinandersetzung mit dem Tod kann und sollte auch in anderen Fächern stattfinden, zum Beispiel über die Auseinandersetzung mit Literatur. Und vor allem sollte sie in krisenfreien Zeiten stattfinden und nicht erst, wenn es einen Trauerfall an der Schule gibt.
Brigitte Lob Schule heißt für mich auch Lernen fürs Leben. Und mit dem Tod werden Menschen immer wieder in ihrem Leben konfrontiert – daher ist es gut, wenn sie sich schon früh damit auseinandersetzen; wenn sie wissen, was ihnen in einer solchen Situation gut tut und wo sie Unterstützung bekommen.
Brigitte Lob Die Auseinandersetzung mit wichtigen Lebensfragen wie dem Tod sollte sich wie ein roter Faden durch die Schulzeit ziehen.

Persönliche Erlebnisse

Berücksichtigung des Kinderwillens

Der Artikel 12 der UN-Kinder­recht­skon­ven­tion[10] lautet "Berücksichtigung des Kindeswillens". Der Wille der Kinder ist angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen.

Ein persönliches Erlebnis von P. Klaus Schäfer SAC gibt einen tiefen Einblick in die Thematik, wenn man den Kindern Freiheit zur Selbstbestimmung lässt:

Frau F. starb auf der Intensivstation. Ihr Mann, ihre beiden Töchter und die beiden Schwiegersöhne haben sich mit mir bei ihr versammelt, um für die Verstorbene zu beten und sie zu segnen. Anschließend erfuhr ich, dass 5 Enkelkinder im Alter von 5 bis 12 Jahren in der Eingangshalle der Klinik sitzen und warten. Ein Schwiegersohn brachte die Frage auf, ob die Enkelkinder die verstorbene Oma sehen sollen. Sogleich sagte der andere Schwiegersohn, dass das nichts für Kinder sei. Ich stellte die Frage, was denn dagegen spreche, wenn wir die Kinder selbst fragen. Es soll keines gezwungen werden, die tote Oma zu sehen, aber auch keines davon abgehalten werden.

Meinem Vorschlag wurde angenommen. So gingen die Väter mit mir in die Eingangshalle der Klinik. Dort unterbreiteten wir den Kindern das Angebot, ihre tote Großmutter sehen zu können. Niemand sollte sich zu irgend etwas gedrängt fühlen. Jeder für sich sollte auf dem Weg bis zum Wartebereich vor der Intensivstation eine Antwort auf diese Frage finden.

Als wir vor der Intensivstation ankamen, wollten alle 5 Kinder ihre verstorbene Großmutter sehen. Dies führten wir in 2 Durchgängen aus, so dass jede Familie für sich bei der toten Oma war. Alle Kinder erhielten die Zeit, die sie für sich brauchten. Danach setzten sich alle Kinder im Wartebereich vor der Intensivstation auf die Stühle. Die Erwachsenen klärten noch die letzten Fragen mit den Ärzten. Ich begleitete die Erwachsenen in den Wartebereich. Als ich dort die Hinterbliebenen verabschieden wollte, sagte der Jüngste, dass er nochmals die Oma sehen wollte. Dem schloss sich sogleich die 12-Jährige an. Wir erfüllten ihnen diesen Wunsch und gingen nochmals zur Verstorbenen.

Dieses Erlebnis verdeutlicht Verschiedenes:

  1. Beim Tod sind die Erwachsenen im Umgang mit Kindern verunsichert.
    Erwachsene trauen ihren Kindern kaum zu, im Zusammenhang von Sterben und Tod eigene Wünsche zu haben und gut für sich zu sorgen.
  2. Kinder haben eigene Wünsche und Bedürfnisse.
    Die Wünsche der Kinder sollen auch im Zusammenhang mit Sterben und Tod erfragt und berücksichtigt werden.
  3. Wenn man Kindern die Freiheit einräumt, äußern sie ihre Wünsche.
    Dass der 5-Jährige zum Schluss von sich aus darum bat, die Oma nochmals zu sehen, zeigt deutlich auf, wie wichtig es ist, auch beim Tod die Wünsche der Kinder zu erfragen und ihnen alle Möglichkeiten aufzeigen.

Bedeutung eines Krankenbesuchs auf der Intensivstation

Wie bedeutsam der Besuch eines 10-Jährigen auf der Intensivstation sein kann, zeigt dieses Erlebnis auf:

Herr H. lag mit kranker Leber[Anm. 3] schon mehrere Wochen künstlich beatmet auf der Intensivstation, ständig im künstlichen Koma. Seine Ehefrau besuchte ihn fast täglich. Ich sprach öfters mit ihr. An einem Tag sagte sie mir, dass Hans, ihr 10-jähriger Sohn, mit der Frage von der Schule nach Hause kam, ob es stimmen würde, dass sein Vater tot sei. Ein Mitschüler wollte es nicht glauben, dass man so lange auf der Intensivstation liegen würde. Da müsse man doch tot sein. Hierauf schlug ich Frau H. vor, in den nächsten Tagen Hans mit in die Klinik zu bringen. Ich wären gerne bereit, ihn auf den Besuch in der Intensivstation kurz vorzubereiten und dann auch zu begleiten.

Am nächsten Tag brachte Frau H. ihren Sohn mit. Im Wartebereich vor der Intensivstation zeigte ich ihm ein Bild eines künstlich beatmeten Patienten. So würde auch sein Vater aussehen. Ich sagte ihm auch, dass an seinem Vater viele Kabel und Schläuche hängen, die jedoch alle wichtig sind, damit sein Vater wieder gesund wird. Ich wies ihn darauf hin, dass sein Vater tief schlafen würde und daher nicht reagieren wird, aber er lebt. Ich sagte ihm zu, dass er alle Fragen stellen darf, die er hat. So gut ich sie beantworten kann, werde ich ihm Antwort geben. Nur die Fragen, wann sein Vater wieder wach wird, wann er wieder gesund ist, wann er wieder nach Hause kommen kann, kann hier niemand beantworten. Schließlich wies ich ihn darauf hin, dass er sagen soll, wenn er wieder aus der Intensivstation gehen will. Wir würden dann auch sogleich die Intensivstation verlassen. Im Vorfeld hatte Hans keine Fragen. Somit gingen wir zu Herrn H. auf die Intensivstation.

Hans besah sich zunächst alles und konnte sich davon überzeugen, dass sein Vater lebt. Darüber war er sehr froh. Er hatte dann vor allem Fragen zur Technik: dem Beatmungsgerät und dem Alarmmonitor. Nachdem seine Fragen beantwortet waren, dauerte es nicht mehr lange, dann wollte er wieder gehen.[Anm. 4]

kleines Kind beim Sterben ihrer Oma

Tief beeindruckt hat mich diese junge Mutter, wie sie mit dem Sterben ihrer Mutter und gleichzeitig ihrer kleinen Tochter umging:

Frau T. lag im Sterben. Sie war noch ansprechbar, als ihre Familie kam, darunter eine Enkelin mit 2 oder 3 Jahren. Sie wollte zur Oma. Daher hob sie die Mutter auf die Bettdecke. Dort krabbelte die Enkelin bis zum Gesicht ihrer Oma. „Darf ich ihr ein Eia geben?“,[Anm. 5] fragte die Enkelin. „Natürlich darfst du ihr ein Eia geben“, sagte die Mutter. Darauf hin gab die Enkelin ihrer sterbenden Oma ein Eia. Wir Erwachsenen beten für Frau T. und ich spendete ihr die „Krankensalbung“ als „Letzte Ölung“ (es war um das Jahr 2000). Kurz darauf verstarb Frau T. Der Enkelin, noch immer auf der Brust ihrer Oma liegend, stellte fest, dass diese nicht mehr atmet. Die Mutter erklärte ihr: „Oma ist jetzt gestorben. Sie lebt nun nicht mehr. Hier ist nur noch ihr toter Körper. Ihre Seele ist nun bei Gott im Himmel. Dort werden wir sie nach unserem Tod wiedersehen.“ Besser hätte ich es in dieser Situation nicht formulieren können. Die Mutter ging angesichts des Todes mit ihrer Tochter ganz natürlich um. Dabei erkannte ich, das das der Schlüssel im Umgang mit Kindern bei Sterben und Tod ist.

Herbst 1964

Ich, P. Klaus Schäfer SAC, war 6 Jahre und 2 Monate alt, als meine Großmutter, die im elterlichen Haus mitlebte, an einem sonnigen Herbsttag starb.

Meine Großmutter wurde zu Hause aufgebahrt. Nachbarn und Verwandte kamen, um sich von ihr zu verabschieden. Auch ich konnte mich von ihr verabschieden. Ich tat es mit den Worten: "Auf Wiedersehen, Oma."

Zum Begräbnis meiner Großmutter sollte ich vor dem Leichenwagen das schwarze Holzkreuz tragen. Hierauf freute ich mich, denn es war für mich ein Liebesdienst für meine Großmutter. Dabei schreckte es mich nicht, dass es ein 3 km langer Weg bis ins Dorf war. Doch es sollte anders kommen. Ich lag am Tag der Beerdigung meiner Großmutter mit Fieber im Bett. Ein Junge aus der Nachbarschaft sprang für mich ein. Ich konnte nur zusehen, wie der Sarg meiner Großmutter aus dem Haus getragen und auf den schwarzen Leichenwagen geladen wurde. Danach fuhr der Leichenwagen mit dem Sarg vom Hof.

Ich kenne daher beides: Ich konnte mich als 6-jähriger Enkel von meiner Großmutter verabschieden. Bei der Beerdigung hielt mich eine Grippe davon zurück. Dafür kann ich Niemanden verantwortlich machen, das ist gut so. Weil ich beides kennenlernen durfte, ist es mir ein großes Anliegen, den heute lebenden Kindern die Freiheit der eigenen Wahl zu ermöglichen, sich von dem geliebten Verstorbenen zu verabschieden und bei dessen Beerdigung dabei zu sein. Dabei will ich nicht so sehr auf die UN-Kinderrechte pochen, sondern will aufzeigen, wie man den Kindern Gutes tut, ihnen diese Wahl zu lassen.

Herbst 1964, ausführlich

Meine Großmutter lebte im Haushalt mit. Sie war mir eine sehr wichtige Bezugsperson. Im Jahr 1964 wurde ich eingeschult. Zu dieser Zeit lag meine Großmutter nur noch im Bett. Ich verstand nur, dass sie krank sei. Von Sterben hatte ich bis dahin keine rechte Vorstellung. Jeden Morgen, bevor ich in die Schule ging, fragte meine Mutter, ob ich schon bei meiner Großmutter war und ihr "Auf Wiedersehen" gesagt hätte. Als ich von der Schule zurück kam, war die erste Frage meiner Mutter, ob ich schon bei meiner Großmutter war und mich zurückgemeldet habe. Ich verstand diese Handlungen nicht, aber ich tat sie. Nach einigen Tagen wusste ich, was ich zu tun hatte, wenn ich zur Schule ging bzw. wenn ich wieder von der Schule zurück war. Ich hatte meiner Großmutter morgens "Auf Wiedersehen" zu sagen und bei meiner Rückkehr "Hallo".

Wenige Tage nach meiner Einschulung, starb mir meiner Großmutter. Ich durfte mich von ihrem Leichnam verabschieden. Dies tat ich mit den mir vertrauten Worten "Auf Wiedersehen".

Vieles, was in diesen Stunden des Abschieds geschah, verstand ich noch nicht. Mir war jedoch wichtig, den Leichnam meiner geliebten Großmutter zu sehen. Ich erlebte damit erstmals, was Tod bedeutet: keine Anteilnahme am Leben.

Ich freute mich darauf, am Tag ihrer Beerdigung das Kreuz vor ihrem Sarg zu tragen. Die rund 3 km Wegstrecke vom Elternhaus bis ins Dorf haben mich dabei nicht geschreckt. Für meine geliebte Großmutter hätte ich es gerne getan, aber am Tag der Beerdigung lag ich mit Fieber im Bett. Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Sarg die Treppe heruntergetragen und auf den schwarzen Leichenwagen geladen wurde. Dann fuhr der Leichenwagen vom Hof. Ein Nachbarjunge trug an meiner Stelle das Holzkreuz voraus. Das waren meine letzten Erinnerungen an meine geliebte Großmutter.

Nach meiner Genesung besuchte ich ihr Grab. Es hatte kaum mehr etwas mit meiner Großmutter zu tun. Ich wusste, dass dort ihr Leichnam liegt, aber es war nicht mehr Großmutter, es war irgendwie eine andere Welt.

Aus diesem Grund ist es mir heute so wichtig, dass Kinder bei Sterben und Tod nicht ausgeschlossen werden, sondern ihnen ermöglicht wird, es einfach mitzuerleben, auch wenn sie vieles noch nicht verstehen. Wie ich, werden auch sie es später verstehen.

Anhang

Vom Umgang mit Trauer in der Schule

Anmerkungen

  1. Dem Kind sollte vorher erklärt werden, wie es dort aussieht, dass es dort viele Geräte und Schläuche gibt, dass Mama oder Papa uns nicht mehr antworten können, aber sicherlich spüren, dass wir da sind. Das Kind sollte nicht einen ganzen Nachmittag dort verbringen oder gezwungen werden, nur passiv und still dazusitzen, da ihm die Besuche zu einer unerträglichen Last werden könnten. (31)
  2. Wir helfen ihnen damit, teilzuhaben und besser zu verstehen. Für viele Menschen bedeutet es eine große Scheu, Kinder zur Beerdigung mitzunehmen, aus der Angst heraus, dies könnte das Kind nicht verkraften, vor allem, wenn alle Menschen weinen. Kinder aber wollen dabei sein und haben oft viele Fragen, aber auch Ängste, ob z.B. der Tote nicht friere etc.
  3. Herr H. war für eine Lebertransplantation bei Eurotransplant gelistet und wartete nun auf die benötigte Leber.
  4. Herr H. lag noch einige Wochen auf der Intensivstation. Dann trat sein Tod schneller ein, als die rettende Leber. Aber Hans konnte sich überzeugen, dass sein Vater Wochen zuvor noch lebte.
  5. Die Enkelin schmiegte dabei ihre Wangen links und rechts an die Wangen ihrer Oma.

Einzelnachweise

  1. Anna Giordano. Nach: https://www.erzbistum-muenchen.de/erwachsene/trauerbegleitung Zugriff am 06.10.2021.
  2. Österreichische Krebshilfe: Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken. Wien 12/18. Nach: https://www.krebshilfe.net/fileadmin/user_upload/Dachverband/Brosch%C3%BCren/20200Mama_Papa_hat_Krebs___Broschuere_WEB.pdf Zugriff am 27.09.2021.
  3. Österreichische Krebshilfe: Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken. Wien 12/18, 9.
  4. Österreichische Krebshilfe: Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken. Wien 12/18.
  5. Österreichische Krebshilfe: Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken. Wien 12/18, 35.
  6. Österreichische Krebshilfe: Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken. Wien 12/18, 38-40.
  7. Österreichische Krebshilfe: Wenn Mama oder Papa an Krebs erkranken. Wien 12/18, 40.43.
  8. Annette Niebers: Eltern begleiten ihre sterbenden Kinder. Erfahrungen und Folgerungen. Eine empirische Untersuchung. Hamburg 2006, Vf.
  9. https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/tod-und-trauer-in-der-schule-brigitte-lob Zugriff am 30.10.2021.
  10. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Übereinkommen über die Rechte des Kindes. UN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93140/78b9572c1bffdda3345d8d393acbbfe8/uebereinkommen-ueber-die-rechte-des-kindes-data.pdf Zugriff am 23.02.2023.